Vergabe des S-Bahn-Rings in Berlin: Pleite einer Ausschreibung

Der S-Bahn-Ring in Berlin hat einen neuen alten Betreiber: die DB AG bzw. deren Tochter S-Bahn Berlin GmbH. Am 8.12. erteilte ihr der Berliner Senat den Zuschlag. Alle anderen Bewerber – unter anderem die britische National Express, die RATP, die die Pariser Metro betreibt, und das Hongkonger Unternehmen MTR – waren im Laufe des jahrelang dauernden Verfahrens ausgestiegen. Sie beklagten sich über ständig veränderte Bedingungen und viel zu viele Details der Ausschreibung, die kaum zu erfüllen gewesen seien[1]; dazu dürfte auch die anstehende Investition für die verlangten 191 Doppelwagen eine ziemliche Herausforderung für gewesen sein.

Was bedeutet diese Vergabe für den S-Bahn-Betrieb in Berlin? Ist nun alles gut, und die Berliner S-Bahn kann in den nächsten Jahren endlich wieder zuverlässig fahren?

Leider ist es so einfach nicht. Denn durch die jahrelange Verzögerung bei der Ausschreibung, die auf die Uneinigkeit im Berliner Senat zurückzuführen war, wurde die Bestellung der dringend benötigten neuen Züge um Jahre verzögert. Das bedeutet, dass die alten S-Bahn-Züge aus den 1980er Jahren (Für Kenner der Berliner S-Bahn: Dies sind die Baureihen 480 und 485), die eigentlich 2017 ausgemustert werden sollten, nun in den nächsten Jahren noch einmal sehr aufwändig instandgesetzt und auf neue Techniken im S-Bahn-Netz umgerüstet werden müssen. Das kostet nicht nur viele Millionen Euro aus der ohnehin klammen Berliner Stadtkasse, die man andernfalls hätte sparen können, sondern es führt auch zu einem neuen Fahrzeugmangel und Zugausfällen im Netz. Denn die Instandsetzung und Umrüstung der Züge in den Werkstätten benötigt viel Zeit, in denen sie natürlich nicht fahren können. Damit steuert Berlin nach der gerade erst einigermaßen überwundenen S-Bahn-Krise (siehe dazu auch den Artikel Die S-Bahn Krise in Berlin – ein gescheitertes Privatisierungsexperiment) schon wieder auf eine neue Krise dieses dringend benötigten Verkehrsmittels zu.

Die sich lange hinziehende Vergabe war aber auch für die vielen Beschäftigten der S-Bahn eine lange Zitterpartie. Wäre der S-Bahn-Ring an einen anderen Betreiber gegangen, was im Ausschreibungsverfahren ja durchaus möglich war, dann hätte das für viele hundert Mitarbeiter_innen der S-Bahn in den verschiedenen Bereichen den Verlust ihrer Arbeitsstelle bedeutet. Bislang gibt es in Deutschland nämlich keine Regelung, dass ein neuer Betreiber die Beschäftigten des alten Betreibers übernehmen muss.[2] Damit wäre den Angestellten – so wie es auch immer wieder beim Betriebsübergang von Regionalstrecken der Fall ist – nur die Wahl geblieben, entweder zu vermutlich deutlich schlechteren Bedingungen beim neuen Betreiber anzuheuern oder sich über den DB-internen Arbeitsmarkt um eine neue Stelle zu bewerben. Dass sich eine solche in Berlin findet, wäre aber kaum wahrscheinlich, und so kann ein Triebfahrzeugführer aus Berlin gezwungen sein, bei der Münchner S-Bahn weiterzuarbeiten – oder eben doch ganz zu kündigen.

Überdies hat der Druck zum Kostensparen hat schon in den letzten Jahren dazu geführt, dass die meisten Bahnhöfe im Berliner S-Bahn-Netz schon heute ganz ohne Personal betrieben werden – der Berliner Fahrgastverband IGEB spricht von „Geisterbahnhöfen“.[3] In den letzten Jahren häufen sich Unfälle mit Fahrgästen, die in den Türen der S-Bahnen eingeklemmt und von anfahrenden Zügen mitgeschleift werden.[4] Die Schuld dafür wird von offizieller Seite immer den Fahrgästen selbst, die noch bei den sich schließenden Türen in den Zug eingestiegen seien, oder den Triebfahrzeugführer_innen, die den eingeklemmten Fahrgast bei der Abfahrt hätten sehen sollen, gegeben. Tatsächlich ist es aber höchst fraglich, ob es den Triebfahrzeugführer_innen mit dem verwendeten Zugabfertigungssystem „ZAT“ („Zugabfertigung durch den Triebfahrzeugführer“) tatsächlich möglich ist, einen ganzen S-Bahnzug aus dem Führerstand so zu überblicken, dass solche Unfälle zuverlässig ausgeschlossen werden können. Bislang hatten die Aufsichten auf den S-Bahnhöfen im Moment der Abfahrt des Zuges genau diese Aufgabe und mussten sich nicht noch parallel auf Signale und die Strecke konzentrieren; außerdem standen sie für eine gute Übersicht des ganzen Zuges in der Mitte des Bahnsteigs. Und nicht zuletzt hatten die Aufsichten auf den Bahnsteigen auch eine wichtige Funktion für die Sicherheit auf den Bahnhöfen gegen Überfälle, haben Auskünfte gegeben, sich um Fundsachen gekümmert und vieles mehr. So geht mit dem bereits durchgeführten Personalabbau auch ein Abbau von Sicherheit und Service einher, auch wenn dies von offizieller Seite immer wieder bestritten wird.

Dass die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH nun die einzige verbliebene Bieterin für den Betrieb des S-Bahn-Rings (mitsamt den davon abzweigenden Strecken nach Südosten) war, hat sie auch in eine sehr gute Verhandlungsposition gegenüber dem Berliner Senat gebracht. Bei allen nötigen Nachträgen und Veränderungen eröffnet eine solche Position natürlich die Möglichkeit, den eigenen Gewinn noch zu steigern. Und auch der aufgrund der Verzögerung notwendig gewordene Übergangsvertrag für die Jahre 2017 bis 2023 ist alles andere als ein Schnäppchen.

Bei der Berliner S-Bahn läuft leider immer wieder einiges schief.

Die gescheiterte S-Bahn-Ausschreibung reiht sich mit der Berliner Bankgesellschaft, der teuren Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe[5], dem Großflughafen BER, dem Umbau der Staatsoper Unter den Linden und anderen gescheiterten oder aus dem Ruder gelaufenen Projekten in die Tradition der Berliner Misswirtschaft ein. Der Stadtstaat ist ohnehin seit Jahrzehnten hoch überschuldet, es fehlt Geld für Schulen, Kitas, Sozialeinrichtungen, Schwimmbäder und Bibliotheken. Dennoch versinken immer wieder Millionen- und (im Falle der Bankgesellschaft und des BER) Milliardenbeträge in solchen vermeidbaren Finanzlöchern. Aber aus der gescheiterten Vergabe des S-Bahn-Rings hat Der Senat wohl nichts gelernt: Auch die anderen zwei „Pakete“ der S-Bahn (die Nord-Süd-Strecken und die West-Ost-Strecken) sollen ebenso ausgeschrieben werden. Die Vergaben sollen nach jetziger Planung 2018 und 2019 erfolgen. Damit fehlt es auch hier an langfristiger Planung und geht die Unsicherheit für die S-Bahn-Beschäftigten weiter. Und man darf auch nicht vergessen, dass solche komplexe Ausschreibungen nicht nur für den Senat erhebliche Kosten verursachen, sondern auch für die mitbietenden Unternehmen – nach deren eigenen Angaben geht es dabei um Millionenbeträge.[6]

Was hätte der Berliner Senat besser machen können und müssen? Sicherlich ist die Ausschreibung nicht sehr professionell gelaufen, sonst wären nicht alle Anbieter bis auf einen ausgestiegen. Ziemlich sicher wäre aber eine Direktvergabe – wie sie bislang üblich war – der sehr viel bessere Weg gewesen. Man hätte viele Jahre und viel Geld gespart, die teure Instandsetzung und den Engpass der Züge vermieden, und in Zusammenarbeit mit der S-Bahn-Berlin GmbH oder einer eigens gegründeten kommunalen S-Bahn-Betreibergesellschaft[7] hätte man sinnvolle Bedingungen für einen zuverlässigen S-Bahn-Betrieb sehr viel besser und einfacher festlegen können als über eine Ausschreibung durch eine Senatsstelle, der die inhaltliche Kompetenz fehlt. Eine solche Direktvergabe hatte der Berliner S-Bahn-Tisch schon vor vier Jahren gefordert.[8] Die Initiative wollte die dafür notwendigen Bedingungen dafür über ein – in der ersten Stufe auch erfolgreiches – Volksbegehren durchsetzen, das jedoch nicht zugelassen wurde – mit der fadenscheinigen Begründung, dass der S-Bahn-Betrieb auch die Interessen des Landes Brandenburg berühre und daher ein Volksbegehren auf Berliner Ebene nicht möglich sei.

Ein weiterer Nebenaspekt der Ausschreibungen könnte demnächst auch noch zum Problem werden: Um den „Wettbewerb“ über die Ausschreibungen zu ermöglichen, muss das Streckennetz nämlich unabhängig vom Zugbetrieb betrieben werden – die sogenannte „Trennung von Netz und Betrieb“. Das führt schon beim Betrieb auf normalen Bahnstrecken potenziell zu Schwierigkeiten, weil neue Schnittstellen und Abstimmungsprobleme erzeugt werden. Dieses Risiko dürfte in dem extrem dicht befahrenen S-Bahn-Netz, in dem die Züge auf vielen Strecken in der maximal möglichen Zugfolge fahren, aber umso höher sein. Ab dem 1.1.2016 soll nun auch das S-Bahn-Streckennetz (also die Gleise, Signale, Stellwerke, Sicherungssysteme etc.) nicht mehr wie bisher von der S-Bahn Berlin GmbH selbst, sondern – wie der Großteil des sonstigen Bahnnetzes im Land – von der DB Netz AG betrieben werden. 400 Mitarbeiter_innen wechseln von der S-Bahn Berlin GmbH zur DB Netz AG. Bleibt zu hoffen, dass dieser Übergang der Verantwortung problemlos funktioniert und der Berliner S-Bahn nicht dadurch auch noch neue Probleme entstehen – was Beschäftigte und Fahrgastverbände schon jetzt fürchten.[9]

 


 

[1] Interview mit Tobias Richter von National Express; „Das ist peinlich für Berlin“. Berliner Zeitung vom 8.12.2015. http://www.berliner-zeitung.de/verkehr/mitbewerber-kritisiert-s-bahn-entscheidung–das-ist-peinlich-fuer-berlin–,10809298,32728578.html

[2] Eine solche Regelung ist mit dem Vergabemodernisierungsgesetz momentan in Planung, die genaue Ausgestaltung ist jedoch noch unklar.

[3] Peter Neumann: Immer mehr Geisterbahnhöfe. Berliner Zeitung vom 27.11.2015

[4] Der letzte Unfall dieser Art ereignete sich erst Mitte November. Thomas Fülling: Mann von S-Bahn eingeklemmt und mitgeschleift – tot. Berliner Morgenpost vom 19.11.2015

[5] Weitere Informationen dazu auf http://berliner-wassertisch.info/

[6] Interview mit Tobias Richter von National Express; „Das ist peinlich für Berlin“. Berliner Zeitung vom 8.12.2015. http://www.berliner-zeitung.de/verkehr/mitbewerber-kritisiert-s-bahn-entscheidung–das-ist-peinlich-fuer-berlin–,10809298,32728578.html

[7] Es ist umstritten, ob eine Direktvergabe an die S-Bahn Berlin GmbH als zwar staatseigenes, aber nicht zum Land Berlin gehörendes Unternehmen nach EU-Recht möglich gewesen wäre. Eine Vergabe an ein kommunales Unternehmen wäre ohne Ausschreibung jedoch in jedem Falle möglich – so wie es auch bei der Vergabe des sonstigen ÖPNV an die Berliner BVG geschieht.

[8] Weitere Informationen dazu auf www.s-bahn-tisch.de

[9] Thomas Fülling: S-Bahn verliert Verantwortung für die Stellwerke. Berliner Morgenpost vom 4.12.2015

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