Die S-Bahn-Krise in Berlin – ein gescheitertes Privatisierungsexperiment

Vor fünf Jahren war die „S-Bahn-Krise“ in Berlin in aller Munde und in allen Zeitungen; inzwischen ist es wieder stiller um sie geworden. Die Berliner S-Bahn ist jedoch ein interessantes Anschauungsobjekt dafür, wie eine kurzsichtige betriebswirtschaftliche Logik eine Bahn zugrunde richten kann.

Die S-Bahn ist eines der wichtigsten Verkehrsmittel für die Hauptstadt und das nahe Brandenburger Umland. Für viele Pendlerinnen und Pendler sind die beige-roten Züge die tägliche Verbindung in die Stadt und umgekehrt für viele Städterinnen und Städter die Verbindung „ins Grüne“. Über lange Zeit war die S-Bahn in Berlin für ihre hohe Zuverlässigkeit bekannt und bei den Fahrgästen beliebt. Sie prägt die Stadt schon seit mehr als einem Dreivierteljahrhundert und hatte durch die Wiederherstellung vieler Linien nach der Wiedervereinigung eine Renaissance erfahren.

Die Situation der neu prosperierenden S-Bahn änderte sich jedoch im Zuge der Vorbereitung auf den Bahn-Börsengang unter Bahnchef Mehdorn: Alle Sparten der DB AG sollten hohe Gewinne erbringen; auch die S-Bahn Berlin GmbH als Tochterunternehmen erhielt entsprechende Vorgaben. Das damalige Management der S-Bahn Berlin weigerte sich jedoch, allzu weitgehende Sparmaßnahmen umzusetzen, weil sie sonst Probleme im Betrieb befürchteten. Daraufhin wurde der alte Vorstand abgelöst, und schrittweise wurden ab 2007 neue Personen in das Management eingesetzt. Der neue Vorstand rief das Programm „Optimierung S-Bahn (OSB)“ ins Leben, um die Gewinnvorgaben erfüllen zu können. Konkret bedeutete das: Die Gesamtzahl der Mitarbeitenden wurde seit 2001 um ein Drittel gesenkt; drei von sieben Werkstätten, in denen die S-Bahn-Züge gewartet und instandgesetzt werden, wurden geschlossen. In der Hauptwerkstatt wurde die Anzahl der Beschäftigten von 800 auf 200 abgebaut, die der Meister von 26 auf 3.[i] Auch die Zugflotte wurde deutlich reduziert; viele Züge wurden verschrottet. Dadurch fehlten – ähnlich wie im Fernverkehr der DB AG – fortan Reservezüge, die im Falle von Krisen, bei Defekten oder bei besonderen Ereignissen eingesetzt werden konnten, und ebenso kam es beim Personal immer mehr zu Engpässen.

Schon im Winter 2008/09 kam es zu massiven Zugausfällen. Am 1. Mai 2009 ereignete sich dann ein Radbruch, woraufhin das Eisenbahnbundesamt eine wesentlich häufigere Überprüfung der Züge anordnete. Ähnlich wie der DB-Fernverkehr hatte auch die S-Bahn die Wartungs- und Überprüfungsintervalle massiv „gespreizt“, weshalb der Riss in dem schließlich gebrochenen Rad nicht rechtzeitig entdeckt worden war. Die kürzeren Wartungsintervalle konnten jedoch aufgrund der geschlossenen Werkstätten nicht wie angeordnet durchgeführt werden. Als dies bei einer Kontrolle deutlich wurde, mussten alle nicht fristgerecht gewarteten Züge außer Betrieb genommen werden. In der Folge war im Juli 2009 nur rund ein Viertel der Züge einsatzbereit. Viele S-Bahn-Linien mussten komplett eingestellt werden. Es kam zu einem Verkehrschaos in der Stadt. Der Betriebsrat und das alte Management hatten zuvor immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sparmaßnahmen viel zu weit gingen und das neue Management letztlich die Notwendigkeiten für einen stabilen Betrieb nicht überblickte, doch erst nach der offensichtlichen Katastrophe zog die DB AG die Konsequenzen und entließ das neue Management wieder.

Im September 2009 wurden auch noch Schäden an Bremszylindern der S-Bahn-Züge festgestellt. Seit mehreren Jahren waren Wartungsmaßnahmen unterlassen und sogar Wartungsprotokolle gefälscht worden.[ii] Erneut war daraufhin im September 2009 nur ein Viertel der Züge einsatzbereit, und wieder musste der Verkehr auf zahlreichen Linien komplett eingestellt werden. Erst ab Mitte Oktober konnte wieder das gesamte Netz befahren werden, aber noch über mehrere Jahre fuhr die Berliner S-Bahn mit einem Notfahrplan, der ausgedünnte Takte und verkürzte Züge umfasste.

Seitdem versucht das neue Management der S-Bahn, den Betrieb wieder in den Griff zu bekommen; geschlossene Werkstätten und zur Verschrottung vorgesehene Züge wurden reaktiviert. Offiziell gilt die S-Bahn-Krise mittlerweile als überwunden, doch es gibt auch weiter erhebliche Probleme im Betrieb, insbesondere durch den massiven Personalmangel: Immer wieder fallen Züge wegen fehlender Triebfahrzeugführer aus, und im Hauptstellwerk sind deutlich zu wenige Fahrdienstleiter verfügbar. Dass der Berliner Senat nun über eine – ohnehin gescheiterte – Ausschreibung von S-Bahn-Linien den wirtschaftlichen Druck noch erhöht, macht die Lage dabei nicht gerade besser, zeigt die S-Bahn-Krise in Berlin doch sehr eindrucksvoll, dass kurzfristige Kostenreduktion bei der Bahn in die Katastrophe führt.

 


[i] vgl. Offener Brief von Ernst-Otto Constantin

[ii] vgl. Reuters-Meldung vom 11.9.2009

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