Erfolgreiche Bahnen: Privat muss nicht sein

Über den Erfolg der Bahnreform gibt es bekanntlich unterschiedliche Auffassungen (siehe dazu auch den Artikel 20 Jahre Bahnreform – 20 Jahre verfehlte Bahnpolitik). Einig sind sich jedoch fast alle, dass die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ein Erfolg gewesen ist, denn dort sind die Fahrgastzahlen anders als im Fernverkehr immerhin eindeutig angestiegen: 1993 gab es noch gut 1,4 Milliarden Reisende im Nahverkehr, 2013 waren es schon mehr als 2,4 Milliarden; die Verkehrsleistung nahm im gleichen Zeitraum von 29,9 auf 52,2 Milliarden Personenkilometer zu (+75 Prozent).[1] Leider gibt es auch hier Schatten im Licht, da seit der Bahnreform eben auch weiterhin viele kleinere Strecken stillgelegt wurden – insgesamt mehr als 7000 Kilometer (17 Prozent des Streckennetzes), fast die Hälfte davon in den ostdeutschen Bundesländern. Aber offensichtlich hat doch immerhin in vielen, wenn auch nicht allen Regionen das geklappt, was man sich gewünscht hatte: Der Regionalverkehr ist attraktiv geworden und wird dementsprechend gut genutzt.

Für die Befürworter von Privatisierungen im Bahnbereich ist die Analyse eindeutig: Der Grund für die Erfolge im Regionalverkehr sei die Beteiligung von Privatunternehmen. Das schien mir eine These, die eine Überprüfung wert ist. Hilfreich dafür ist die Liste von erfolgreichen Regionalbahnen, die die Allianz pro Schiene – wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit – alle zwei Jahre auch als Broschüre herausgibt (http://www.allianz-pro-schiene.de/verkehrspolitik/personenverkehr/erfolgreiche-regionalbahnen/). Die letzten beiden dieser Listen habe ich in einer Tabelle zusammengestellt und gemäß dem Fahrgastzuwachs angeordnet. S-Bahnen habe ich dabei herausgelassen, da es hier vorwiegend um guten Regionalverkehr in ländlichen Regionen und nicht um Stadtverkehr gehen soll. Da die Daten nicht immer über die gleichen Zeiträume erhoben sind, ergeben sich hier sicherlich einige Ungenauigkeiten, aber die Liste dürfte die erfolgreichen Regionalbahnen dennoch recht gut widerspiegeln – allen voran die Regiobahn in Nordrhein-Westfalen, die ihre Fahrgastzahlen seit 1998 verfünfundvierzigfacht hat, und die Usedomer Bäderbahn, die seit 1992 mehr als eine Verzwölffachung erreicht hat. In einem zweiten Schritt habe ich die Besitzverhältnisse eben dieser Bahnen recherchiert. Das Ergebnis ist in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Pl. Bahn Zuwachs Besitzer  
1 Regiobahn (NRW) +4412% (1998-2013) Regiobahn Fahrbetriebs GmbH:35,0% Stadt Düsseldorf
20,0% Kreis Mettmann
11,8% Rhein-Kreis Neuss
11,6% Stadtwerke Neuss
11,6% Stadt Kaarst
10,0% Stadtwerke Wuppertal
Öff.
2 Usedomer Bäderbahn (Mecklenburg-Vorp.) +1153% (1992-2011) Usedomer Bäderbahn GmbH, Tochter der DB AG Öff.
3 City-Bahn Chemnitz (Sachsen) + 886% (1998-2008) CityBahn Chemnitz GmbH:
60% Chemnitzer Verkehrs-AG (= 94% Tochter d. Versorgungs- & Verkehrsholding d. Stadt Chemnitz)
40% Autobus Sachsen (= Erzgebirgskreis und Landkreis Zwickau)
Öff.
4 Taunusbahn (Hessen) + 633% (1989-2012) Hessische Landesbahn, Tochter des Landes Hessen Öff.
5 NordWestBahn (Nieders.) + 560% (1998-2008) NordWestBahn GmbH:
64% Veolia Verkehr GmbH
26% Stadtwerke Osnabrück
10% Verkehr und Wasser GmbH
74% Priv.
(?)
6 RE1 (Berlin/Brandenburg) +463% (1993-2013) DB Regio Nordost Öff.
7 Schönbuchbahn Böblingen – Dettenhau­sen (Ba.-Wü.) + 300% (1996-2013) Württembergische Eisenbahn­gesellschaft (WEG), 100% Tochter von Veolia Verkehr GmbH Priv.
(?)
8 Nordbahn (Schleswig-Holstein) + 267% (2000-2012) NBE Nordbahn:
50% BeNex (= 51% Hamb. Hochbahn)
50% AKN (sh. 20)
74,9% Öff.
9 Bayerische Oberlandbahn + 233% (1997-2007) Veolia Verkehr GmbH Priv.
(?)
10 Orlabahn (Thüringen) + 208% (1997-2008) DB Regio AG, Südost Öff.
11 Prignitz Express + 183% (2000-2008) DB Regio AG, Nordost Öff.
12 Gäubahn Eutingen-Freudenstadt (BaWü) + 180% (2006-2008) 1) DB Regio AG2) Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (Stadt Karlsruhe) Öff.
13 Gräfenbergbahn (Bayern) + 161% (2000-2007) DB Regio AG, Mittelfranken Öff.
14 Prignitzer Eisenbahn + 140% (2001-2008) Netinera, Tochterunternehmen der ital. Staatsbahn FS Öff.
15 Heidekrautbahn (Berlin/Brandenburg) + 134% (1998-2013) Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) Betriebsgesellschaft mbH Priv.
16 Zschopautalbahn (Sachsen) +  99% (2007-2014) DB RegioNetz Verkehrs GmbH Erzgebirgsbahn Öff.
17 Elster-Saale-Bahn (Thüringen) +  97% (2011-2013) Erfurter Bahn, 100% Tochter der Stadt Erfurt Öff.
18 Euregio-Bahn (NRW) +  92% (2000-2013) DB Regio NRW Öff.
19 Saarbahn (Saarland) +  88% (1997-2012) Saarbahn GmbH:
96% Stadtbahn Saar GmbH
2% Gemeinde Heusweiler
2% Gemeinde Kleinblittersdorf
Öff.
20 Schleswig-Holstein-Bahn +  86% (2001-2008) Schleswig-Holstein-Bahn GmbH, Tochter d. AKN Eisenbahn AG:
50% Stadt Hamburg
49,89% Land Schleswig-Holst.
0,11% Privatpersonen
Öff. (99,9%)
21 Paartalbahn Augsburg – Ingolstadt (Bayern) +  72% (2008-2012) Bayerische Regiobahn GmbH, Tochter von Veolia Verkehr GmbH Priv.
(?)
22 Burgenlandbahn (Sachsen-Anhalt) +  69% (1998-2008) DB Regio AG Öff.

Das Ergebnis: Von den 22 hier betrachteten Bahnen sind zusammengenommen (Mischformen mit dem jeweiligen Anteil gerechnet) gerade einmal fünf tatsächlich privat – also nicht einmal ein Viertel. Fast die Hälfte der Bahnen (9) wird über diverse Tochterunternehmen letztlich von der DB AG betrieben, die bekanntlich nach wie vor zu 100% dem Bund gehört. An zweiter Stelle steht tatsächlich ein Privatunternehmen, nämlich die französische Veolia Verkehr GmbH mit drei Bahnen plus einer Zwei-Drittel-Beteiligung – wobei auch umstritten ist, ob Veolia überhaupt als Privatunternehmen gewertet werden kann, da die Muttergesellschaft Trandev zu 60% der staatlich-französischen Caisse de Dépots et Consignations gehört. Bei den meisten anderen Bahnen handelt es sich überwiegend – oft mit sehr diversen Beteiligungen – um Unternehmen von Städten, Landkreisen und Bundesländern. Nur in wenigen Fällen gibt es Partnerschaften zwischen öffentlichen Körperschaften und Privatunternehmen.

Tatsächlich sind die Erfolge im Regionalverkehr zumindest bei den hier betrachteten Bahnen also nicht auf die Beteiligung von privaten Unternehmen zurückzuführen sondern auf die verbesserten Strukturen: Die unterschiedlichen Aufgabenträger für den Regionalverkehr planen oft sehr gut entlang den Bedürfnissen der Kundschaft in den Regionen, und die häufig regional geführten Unternehmen scheinen diese Verkehre auch entsprechend gut zu fahren. Für einen erfolgreichen Bahnverkehr braucht man somit nicht notwendigerweise private Unternehmen, sondern es gibt in der obigen Tabelle eine Menge Beispiele, wie auch öffentliche Bahnen sehr erfolgreich arbeiten.

Spannend wäre ein umfassendes Ranking aller SPNV-Unternehmen in Deutschland entlang der Fahrgastentwicklung und der Qualität mit der Betrachtung der jeweiligen Besitzverhältnisse, womit sich die Erfolge von öffentlichen und privaten Bahnen miteinander vergleichen ließen. Eine solche umfassende Liste gibt es meines Wissens nach jedoch leider bislang nicht. Wer dazu Hinweise hat, kann gerne unten einen Kommentar hinterlassen, ebenso bei Korrekturen der obigen Tabelle.

 

Dieser Artikel erschien gekürzt in Mobilogisch! 1/2015

 


[1] Laut „Verkehr in Zahlen“, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.

3 Gedanken zu „Erfolgreiche Bahnen: Privat muss nicht sein“

  1. Der Leitende Bundesbahndirektor Dr. Kimmeskamp, der ein Eigenheim direkt am Bahnhof Kaarst besaß, hat zu Lebzeiten in den 80er Jahren mit Leidenschaft und Ausdauer für den Erhalt, den Ausbau und die Verkehrsverdichtung der unter 1 gelisteten Bahnstrecke gekämpft, auf der es nur noch einen nicht bedarfsgerechten Restbetrieb an Werktagen gegeben hatte und die von der BD Köln stillgelegt werden sollte. Ein beeindruckender posthumer Erfolg!

  2. Diese Aufstellung ist eine wesentliche Erkenntnisquelle und sollte die unrealen Vorurteile gegen öffentliche Unternehmen beseitigen helfen. Die Liste eröffnet ein weiteres Erkenntnisfeld:
    Es sind die regionalen öffentlichen Unternehmen erfolgreich weil
    Markt- und Kunden-orientiert, nicht die zentral gesteuerten!
    Die regionalen GmbH.´s, die die DB in den neunziger Jahren gründete bauten auf den Erfolgen auf, die die Bundesbahn mit seinerzeit den Intrapreneurship-Projekten , z.B. City-Bahn Köln-Gummersbach erreichte: Sie haben die notwendige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, um vor Ort das Beste für die Region und die Kunden zu leisten. Mehdorn stoppte diese Entwicklung, ja wollte sie rückgängig machen, weil diese GmbH´s
    sich seinem totalen Machtanspruch entzogen…. Daher blieb es bei den wenigen, die es derzeit im DB Konzern gibt!

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