Das neue DB-Fernverkehrskonzept im Faktencheck

Die Deutsche Bahn AG präsentierte am 18. März ihre neue Strategie für den Schienenpersonenfernverkehr. Diese wurde in den Medien überwiegend positiv aufgenommen – was auch dazu beitrug, dass die eher trüben Zahlen, die der Bahnkonzern am Tag darauf auf der Bilanzpressekonferenz vorstellen musste, in den Hintergrund traten. Jede Strategie zur Ausweitung und Stärkung des Schienenverkehrs ist natürlich zu begrüßen. Einige Skepsis ist allerdings angebracht hinsichtlich der konkreten Vorschläge. Diese sind oft nicht neu und vor allem finanziell, materiell und personell nicht ausreichend untersetzt. Daher werden in diesem Faktencheck die Planungen der DB AG der realen Situation gegenübergestellt.

 

Die DB sagt: „Die Deutsche Bahn startet die größte Kundenoffensive in der Geschichte des DB Fernverkehrs.“

Wahr ist: Das mag stimmen, wenn damit wirklich nur die DB AG seit der Bahnreform von 1994 gemeint ist – denn seitdem war die DB im Fernverkehr fast ausschließlich auf dem Rückzug. Für die Geschichte der DB darüber hinaus ist es aber schlichtweg eine Falschbehauptung. Erinnert sei an die Einführung des InterCity ab 1971, des InterRegio ab 1988 oder des ICE ab 1991 – jede dieser „Kundenoffensiven“ war mit einem Quantensprung für viele Millionen Fahrgäste verbunden und brachte einen erheblichen Ausbau des Angebots mit sich.[1]

 

Die DB sagt: „Die DB baut bis 2030 das Fernverkehrsangebot um 25 Prozent aus.“

Wahr ist: Alleine in den letzten 15 Jahren sind 20 Prozent des Fernverkehrsangebots weggefallen – es gab hier einen fast kontinuierlichen Abbau: Im Jahr 1999 fuhr die DB AG noch 177,5 Mio. Zugkilometer im Fernverkehr, 2013 waren es nur noch 142,6 Mio. Zugkilometer. Es wird also letztlich nur das wieder hergestellt, was es schon gab und was durch eine verfehlte Unternehmenspolitik seit der Zeit unter Hartmut Mehdorn zerstört worden ist – und noch nicht einmal das vollständig, da als Ziel bis 2030 – in 15 Jahren! – lediglich 162 Mio. Zugkilometer angegeben werden.

 

Die DB sagt: „Fünf Millionen Einwohner werden neu ans Fernverkehrsnetz angebunden“, „Neu im Flächennetz: Mönchengladbach, Chemnitz, Krefeld, Potsdam, Fürth, Heilbronn, Reutlingen, Trier, Cottbus, Siegen.“

Wahr ist: Alle diese Städte und damit auch die geschätzten fünf Millionen Einwohner waren bis vor einigen Jahren an das DB-Fernverkehrsnetz angebunden, keine einzige wird neu angebunden. Es ist bei allen diesen Städten – die immerhin über 100.000 Einwohner haben[2] – und noch vielen anderen bitter nötig, dass sie wieder eine Fernverkehrsanbindung erhalten.

 

Die DB sagt: „Mit wenigen Ausnahmen sind künftig alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern zweistündlich ans Fernverkehrsnetz angeschlossen.“

Wahr ist: Es sollte eine absolute Selbstverständlichkeit sein, dass Großstädte eine gute Anbindung an den Schienenpersonenfernverkehr haben – und war es bis vor einigen Jahren auch, bis die DB AG den Fernverkehr so massiv ausgedünnt hat. Auch danach wird es aber Städte wie Bremerhaven (113.000 Einwohner) geben, die – anders als in den 1990er Jahren – nur Regionalverkehr haben und deren Bewohner für Fernreisen daher immer umsteigen müssen.

 

Die DB sagt: „Wir werden die Produktqualität deutlich erhöhen […] und den Komfort sowie die Qualität für unsere Fahrgäste weiter verbessern.“

Wahr ist: Die zwei neuen Zuggattungen, die in den nächsten 15 Jahren in erheblichem Maß bestehende Züge ersetzen sollen, sind mit einem deutlichen Abbau von Komfort verbunden. Die Doppelstock-IC haben grundsätzlich keine Bordrestaurants und bieten deutlich weniger Raum für Gepäck als die bisher eingesetzten IC-Züge und keine richtigen Kleinkindabteile mehr; sie erinnern insgesamt sehr an Regionalexpress-Züge. Die ICx-Züge verfügen über keine individuellen Leselampen, über keine Fußstützen, haben deutlich weniger Toiletten und mit 856 Millimetern einen nochmals verringerten Sitzabstand, weshalb sie in der Fachpresse auch als „IC-Eng“ bezeichnet wurden.

 

Die DB sagt: „150 Fahrten, die heute mit IC-Zügen stattfinden, werden in das neue ICE-Netz integriert.“

Wahr ist: Das heißt übersetzt: Auf diesen Fahrten erhöhen sich die Fahrpreise erheblich, auch wenn es nicht schneller wird. Wir erinnern an den Ersatz von InterRegios durch InterCitys Anfang der 2000er Jahre: Exakt gleiche Wagen mit neuer IC-Außenlackierung, gleiche Fahrzeiten, höhere Preise.

 

Die DB sagt: „Die Preise für das deutlich attraktivere Fernverkehrsangebot sollen einfach, transparent und fair sein.“

Wahr ist: Es ist keine Reform des Preissystems angekündigt, obwohl diese bitter nötig wäre. Momentan gibt es ein undurchsichtiges Nebeneinander von Normalpreisen, Sparpreisen, Discounter-Tickets, Fernbusportal-Tickets und vielem mehr, das selbst die DB-Mitarbeitenden oft nicht durchschauen. Hier ist eine Vereinheitlichung dringend notwendig, um die Preise nachvollziehbar und fair zu machen.

 

Die DB sagt: „Es werden 1500 neue Arbeitsplätze geschaffen.“

Wahr ist: Seit der Bahnreform ist im Bahnbereich in Deutschland die Zahl der Arbeitsplätze von 350.000 auf 155.000, also um fast 200.000 abgebaut worden. Dadurch fehlt an vielen Stellen Personal, etwa auf den oft völlig menschenleeren Bahnhöfen. In vielen Bereichen sind die Beschäftigten auch massiv überfordert und schieben tausende von Überstunden vor sich her. Dieser Trend setzt sich fast ungebrochen von Jahr zu Jahr fort. Allein im Jahr 2014 gab es im Nah- und Fernverkehr der Deutschen Bahn AG 380 Mitarbeiter weniger als im Jahr zuvor (Nahverkehr: -273; Fernverkehr: -193). Allein bei den Lokführern und bei den Stellwerkern gibt es heute bereits ein Fehlbedarf von mehr als 2000 Vollarbeitsplätzen, der bislang nur durch Überstunden und Dauerstress abgedeckt wird. Die angekündigten „1500 neue Arbeitsplätze“ – und dies bis 2030 und bei massiven Steigerungen der Leistungen – müssen vor diesem Hintergrund für die Beschäftigten und die Gewerkschaften wie blanker Zynismus wirken.

 

Die DB sagt: Nichts – zur Finanzierung.

Wahr ist: Bei vielen der angekündigten IC-Strecken abseits der Metropolen geht die DB AG davon aus, dass die Länder – nach dem Vorbild der ICs nach Norddeich Mole – für solche Zugleistungen zahlen werden. Hier ist aber zuerst einmal fraglich, ob die Länder dies wirklich in großem Maßstab mittragen werden, da der Fernverkehr ja eigentlich keine Ländersache ist. Und zum zweiten ist ein Regionalexpress-Zug, der durch einen IC-Zug ersetzt wird, zwar in Hinblick auf den Reisekomfort für viele Reisende zu begrüßen, aber es ist eben keine wirkliche Ausweitung des Bahnangebots insgesamt.

 

Die DB sagt: Nichts – zu Autoreisezügen und zum Nachtzugverkehr.

Wahr ist: Die DB hat den Autoreisezug 2014 komplett abgeschafft (obwohl treue Bahnkunden bei BahnComfort noch immer Punkte für Autozugreisen einlösen können). Sie hat das Nachtzugnetz in den letzten Jahren erheblich ausgedünnt. Nachtzüge waren aber oft die einzige brauchbare Möglichkeit, Fernreisen insbesondere in die europäischen Nachbarländer wie z.B. von Berlin nach Paris komfortabel und klimafreundlich zurückzulegen. In dem Konzept ist nichts dazu zu lesen, wie die DB solche Verbindungen wieder herstellen möchte und was sie künftig im Nachtreiseverkehr anbieten wird.

 

Die DB sagt: Nichts mehr – zu ihrer Strategie im Bereich des Fernbusverkehrs.

Wahr ist: Die DB plant einen massiven Ausbau ihres Fernbusverkehrs. Dieser soll ab 2015 unter der Marke „BerlinLinienBus“ zusammengefasst (der IC-Bus also in diese Marke integriert) werden. Bis Ende 2016 soll sich laut Bahnchef Grube „die Zahl der Fahrten vervierfachen“. Das sind deutlich größere Wachstumsraten als im Bereich Schienenpersonenfernverkehrs angekündigt werden. Und es geht um eine Zweijahresperspektive und nicht um eine solche von 15 Jahren.

Unsere Bilanz: Wir nehmen die Deutsche Bahn AG beim Wort und unterstützen grundsätzlich eine Expansionsstrategie im Bereich Schiene. Die konkreten Vorgaben sind derzeit jedoch nicht mit materiellen und personellen Fakten untersetzt. Wir fordern die Deutsche Bahn AG auf, den leider derzeit leeren Worten belastbare und überzeugende Taten und eine Stärkung der Schiene folgen zu lassen.

 

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Winfried Wolf.


[1] Im Geschäftsbericht „Die Deutschen Bahnen“ des Jahres 1992, in dem bereits Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn gemeinsam vorgestellt wurde, hieß es sogar: „Mit Kundenvorteilen jetzt in die Offensive […] Mit der Einführung des Integralen Taktfahrplans wollen Bundesbahn und Reichsbahn den öffentlichen Personenverkehr in der Fläche attraktiver machen. Durch enge Kooperation aller Produkte des Schienenpersonenfern- und des Schienenpersonennahverkehrs […] wird ein abgestimmtes System entstehen, das dem Kunden einen attraktiven Taktverkehr täglich von frühmorgens bis abends mit optimalen Anschlüssen und vielen Direktverbindungen bietet.“ (S. 28)

[2] Um hier selbst exakt zu sein: Cottbus und Siegen liegen ganz knapp unter 100.000.

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