Die Deutsche Bahn reformiert das Tarifsystem – schlimmer geht immer

Das Tarifsystem der DB AG wird schon seit Jahren immer wieder von verschiedenen Seiten kritisiert – und das völlig zu Recht. Das Zustandekommen der Preise ist absolut intransparent zwischen den Extremen eines enorm teuren Normalpreises (seit neuestem „Flexpreis“ genannt) und Sparpreisen, die für die gleiche Reise manchmal kaum mehr als ein Zehntel dieses Normalpreises betragen. Eine grundlegende Neukonzeptionierung der Bahn-Tarife ist deswegen eigentlich seit Jahren überfällig (siehe dazu auch: Unübersichtlich und intransparent – das Preissystem der Bahn benötigt einen Neustart). Mit den soeben angekündigten Veränderungen geht die DB AG allerdings leider in eine ganz andere Richtung: Sie macht das ohnehin schon sehr komplexe System nochmals komplizierter und kundenfeindlicher. Von den meisten Medien wird vor allem die Preiserhöhung von angeblich durchschnittlich 1,9 Prozent im Fernverkehr zitiert, die laut der neuen DB-Fernverkehrs-Chefin Birgit Bohle eine „moderate Anhebung“ darstelle. Wenn man bedenkt, dass es die letzten beiden Jahre im Fernverkehr – vornehmlich wegen der neuen Billig-Konkurrenz durch die Fernbusse – keine Preiserhöhung gab, dann klingt das erst einmal plausibel. Wenn man aber etwas weiter zurückschaut und bedenkt, dass die Bahn in den zehn Jahren davor ihre Preise um durchschnittlich 3,5 Prozent im Jahr erhöht hat und damit konstant ziemlich genau doppelt so stark wie die allgemeine Inflation, dann bedeutet das dennoch: Bahnfahren ist teuer – wenn man nicht gerade das Glück der Super-Schnäppchen hat. Und auch die aktuelle Preiserhöhung nimmt sich gar nicht mehr gering aus, wenn man bedenkt, dass die Inflation 2015 gerade einmal 0,25 Prozent betrug und auch 2016 auf vergleichbarem Niveau liegt. Übrigens bittet die Bahn ihre treuen Dauerkunden wieder einmal am allerstärksten zur Kasse: Streckenzeitkarten, mit denen man beliebig oft auf einer Strecke fahren kann, werden um 3,9 Prozent teurer und die BahnCard 100 um 2,4 (2. Klasse) bzw. 2,9 Prozent (1. Klasse).[1]

Viel schwerer als die reine Erhöhung der Preise wiegt aber die massive Verschlechterung der Bedingungen, die die DB AG aus gutem Grunde nicht in den Mittelpunkt ihrer Pressearbeit stellt. Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2016 wird der bereits umbenannte Normalpreis nämlich schlichtweg abgeschafft. Sein angeblicher Nachfolger, der „differenzierte Flexpreis“ ist das Gegenteil von dem, was sein Name suggeriert. Er verliert nämlich sämtliche Flexibilität, die der Normalpreis einmal hatte. Während Tickets bis Dezember 2012 noch 4 Tage gültig waren, sind es aktuell noch 2 Tage, und ab Dezember 2016 muss die Reise immer am ersten Gültigkeitstag angetreten werden – auch wenn man sie immerhin noch einmal über Nacht unterbrechen kann. Wer eine Hin- und Rückfahrt zusammen bucht, kann die Rückfahrt bislang flexibel innerhalb eines Monats antreten. Ab Dezember 2016 wird die Möglichkeit der gemeinsamen Buchung von Hin- und Rückfahrt jedoch komplett wegfallen, so dass man sich auch mit dem „Flexpreis“ jeweils ganz genau auf einen Abfahrtstag festlegen muss.

Der Grund für diese Verschlechterungen ist die neue „Differenzierung“ des sogenannten „Flexpreises“. Anders als der frühere Normalpreis ist er nämlich mitnichten immer gleich, sondern er variiert je nach Reisetag. Die viel nachgefragten Reisetage – Freitag, Sonntag, Montag und rund um Feiertage – werden teurer, die anderen Tage (angeblich) etwas günstiger. Damit wird der „Flexpreis“ den Sparpreisen, bei denen das Zustandekommen bestimmter Preise überhaupt nicht nachvollziehbar ist, immer ähnlicher.

Ebenfalls kundenfeindlich ist die nochmalige Erhöhung der Stornierungsgebühr von Tickets – von ohnehin schon teuren 17,50 Euro auf 19 Euro. Bei manchen Sparpreisen (mit BahnCard) führt das dazu, dass es bei Nicht-Nutzung günstiger ist, das Ticket einfach verfallen zu lassen anstatt es zu stornieren, weil man sonst noch draufzahlen würde.

Aber die DB wäre nicht die DB, wenn sie nicht gleichzeitig auch noch die komplett umgekehrte Strategie verfolgen würde: Demnächst werden nämlich wieder einmal Tickets über einen großen Lebensmitteldiscounter angeboten, die für zwei beliebige Fahrten quer durch Deutschland gerade einmal 49,90 Euro kosten – und zwar komplett flexibel, gültig für jeden beliebigen Zug (außer an Freitagen – und explizit außer den letzten noch fahrenden Nachtzügen). Aber dieses Angebot ist abgesehen von der wenig vergnüglichen Notwendigkeit zum Schlangestehen beim Discounter nur bis Dezember gültig. Dass sich auf diese Weise Bahnkunden, die gerne flexibel reisen möchten, auf Dauer gewinnen lassen, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

Bei dieser Preispolitik – ob es die immer wieder wechselnden Sparpreise sind oder solche Lockangebote – vergisst die DB AG leider eines: Schnäppchenkunden sind keine Dauerkunden. Wer einmal günstig gereist ist, wird nicht automatisch beim nächsten Mal teuer reisen. Umgekehrt sind nicht einmal mehr viele der existierenden Dauerkunden bereit, die teureren Preise zu bezahlen. Man wird als Bahnfahrer durch die Preispolitik der DB AG immer mehr dazu erzogen, sich ständig nach neuen Schnäppchen umzusehen. Das führt dazu, dass solche Preise, die für Bahnfahrten früher ganz normal waren, inzwischen teuer erscheinen, wenn man für die gleiche Reise ein paar Wochen vorher nur einen Bruchteil gezahlt hat. So verdirbt sich die DB AG ihre eigenen Preise. Sie ist zwar stolz darauf, im letzten Jahr eine ganze Reihe neuer Kundinnen und Kunden für den Fernverkehr gewonnen zu haben – aber gleichzeitig sind die Erträge gesunken, weil viele eben nur mit den günstigen Lockangeboten unterwegs waren. Auch den oben beschriebenen teuren „differenzierten Flexpreis“ werden wohl die wenigsten zahlen. Viele weichen dann stattdessen, wenn sie keinen günstigen Sparpreis ergattern können, auf die in der Regel noch billigeren Fernbusse aus.

Die DB AG verweist als Rechtfertigung für ihr Preissystem auf eben diese Konkurrenz zu den Fernbussen und teilweise auch zum Luftverkehr, die ebenfalls differenzierte Preise haben – wenn auch nicht mit solch extremen Unterschieden wie bei der Bahn. Das ist jedoch eine sehr einseitige Betrachtung. Tatsächlich treffen die meisten Menschen ihre Entscheidung für eine Reise nämlich nicht zwischen Bahn und Fernbus oder zwischen Bahn und Flugzeug, sondern zwischen Bahn und Auto. Und das Auto hat den unschlagbaren Vorteil, dass es zu jeder Tages- und Nachtzeit und unabhängig vom Reisetag die gleichen Kosten verursacht. Dazu können Autofahrende immer genau dann fahren, wenn sie möchten; sie sind nicht an irgendwelche Zeiten gebunden – zumindest wenn sie bereit sind, mögliche Staus in Kauf zu nehmen. Diese extreme Flexibilität wird die Bahn so nie bieten können, aber sie ist im Vergleich dennoch eigentlich nicht so schlecht: Auf den meisten Strecken sind die Fernzüge im Ein- oder Zwei-Stunden-Takt unterwegs, manchmal sogar noch häufiger. Die Idee der Einführung dieses Taktfahrplans war es, den Fahrgästen eine ähnliche Flexibilität wie mit dem Auto zu ermöglichen. Genau diesen Vorteil macht sich die DB AG mit ihrem Preissystem aber wieder zunichte: Wenn man mit den Sparpreisen, die ja inzwischen rein mengenmäßig die neuen „Normalpreise“ sind, eben nicht flexibel unterwegs sein kann sondern an einen bestimmten Zug gebunden ist und wenn man für die immer weiter eingeschränkte Flexibilität der „Flexpreise“ einen enorm hohen Betrag zahlen muss, dann ist das Auto vielfach im Vorteil. Und das ist für eine immer wieder beschworene Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene exakt die falsche Strategie.

All das ist keine Einzelmeinung des Autors, sondern es entspricht den Wünschen einer großen Mehrheit der Bevölkerung: Im letzten Bahntest des Verkehrsclub Deutschland (VCD) gaben in einer repräsentativen Umfrage fast 95 Prozent der Befragten an, dass ein Tarifsystem bei der Bahn vor allem möglichst einfach und transparent sein sollte.[2]

Was wäre also zu tun? Das Preissystem der DB AG muss ganz grundlegend neu gestaltet werden anstatt es mit jeder Reform noch komplizierter und intransparenter zu machen. Es sollte wieder einen Normalpreis geben, der den Namen verdient: Er sollte die flexible Nutzung der Bahn ermöglichen, und zwar mit bezahlbaren Kosten. Für Menschen mit geringem Einkommen sollte es außerdem noch soziale Preise geben, um auch ihnen Mobilität zu ermöglichen. Statt zweier paralleler Preissysteme („Flexpreise“ und „Sparpreise“ – und strenggenommen sogar als drittes System noch die „Super-Sparpreise“) sollte es ein nachvollziehbares Preissystem auf einem mittleren Preisniveau geben. Extrem hohe Preise schrecken die Fahrgäste ab, aber extrem billige Lockangebote führen auch nicht zum dauerhaften Gewinn von Kunden, sondern erzeugen nur viel Ärger gegen die Bahn, weil Fahrgäste für die gleiche Leistung zu extrem unterschiedlichen Preisen unterwegs sind. In der Umfrage im Auftrag des VCD wären nur 19 Prozent der Befragten nicht bereit gewesen, auf Sparpreise zu verzichten, wenn es dafür insgesamt niedrigere Normalpreise gäbe – mehr als die Hälfte der Befragten sprach sich hingegen explizit für eine solche Veränderung aus.[3] Also, liebe Strateginnen und Strategen im DB-Tower: Schluss mit der ewigen Flickschusterei und her mit einem Tarifsystem, das für die Verkehrswende geeignet ist. Wenn dann immer mehr Menschen auf die Bahn umsteigen, dann stimmt am Ende sogar die Kasse wieder.

 


[1] Alle Angaben zu den Preisen laut Pressemitteilung der DB AG: http://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/12276904/p20160930.html

[2] VCD & Quotas GmbH: VCD Bahntest 2015/2016 – Preise und Tarife im Schienenfernverkehr aus Sicht der Fahrgäste. Berlin (VCD) 2015, Seite 14. Download unter https://www.vcd.org/themen/bahn/vcd-bahntest/vcd-bahntest-20152016/

[3] ebenda, Seite 12.

2 Gedanken zu „Die Deutsche Bahn reformiert das Tarifsystem – schlimmer geht immer“

  1. Den Beitrag finde ich sehr gelungen, treffende Darstellung der zentralen Aspekte. Was ich erst jetzt richtig verstanden habe, ist, wie sich die beiden wesentlichen Neuerungen im Tarifsystem (tagesvariabler Grundpreis, Tagbindung der Bahncard-Fahrkarten) bedingen:

    Beim Kauf einer Fahrkarte mittels Bahncard 25 oder 50 muss klar sein, worauf sich die 25% bzw. 50% beziehen. Bislang gab es für die Hinfahrt zwei Gültigkeitstage, für die Rückfahrt einen Monat. Wenn nun z.B. am Donnerstag der Grundpreis niedriger ist als am Freitag, wovon werden dann die 25% bzw. 50% berechnet? Daher folgt zwangsweise die Tagbindung von Hin- und Rückfahrt aus der Neuerung eines tagesvariablen Grundpreises, der dann tatsächlich ein „Flexpreis“ ist, aber einer im Sinne der DB, nicht der Reisenden.

    Dass die Bahn auf diese Weise dem Auto nicht Konkurrenz macht, ist klar, m.E. aber auch gewollt – insbesondere von der jetzigen Bundesregierung.

    [PS: Warum wird auf dieser Website geduzt? Mir gefällt das nicht.]

  2. Ich habe heute ein Fahrschein für die Bahn gekauft, ich fahre nur einmal im Jahr mit der Bahn in den Urlaub und nutze immer nur die Sparpreise hat bisher immer gut funktioniert.

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