Die Ramsauer-Bilanz: verlorene Jahre für die Verkehrspolitik

Seit vier Jahren ist Peter Ramsauer nun der Chef des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Ob der CSU-Politiker den gleichen Job auch nach der Wahl weiter bekleiden wird, ist zumindest fraglich. Grund genug, eine kleine Rückschau auf die Amtszeit des Ministers und die Auswirkungen auf die Verkehrspolitik zu halten.

Von den Medien bekommt Ramsauer bislang schlechte Kritiken: Die ‚Zeit‘ bezeichnet ihn als einen „Pop-up-Minister, der alle paar Wochen ein neues Thema setzt“, das Nachrichtenportal ‚Morgenweb‘ als „Meister der Ankündigungen“, und die ‚WAZ‘ schreibt in sein Zeugnis: „Fleiß und Interesse lassen zu wünschen übrig.“ In der Tat ist „Ramses“, wie er sich von seinen Parteifreunden auch gerne nennen lässt, in den letzten vier Jahren nicht durch einen Einsatz oder auch nur eine Perspektive für die Lösung der wirklich drängenden Probleme der Verkehrs- und Baupolitik aufgefallen, sondern er setzt primär auf schlagzeilenträchtige Themen. Damit hält er sich dauerhaft im Gespräch und erfreut sich insbesondere bei den Autofahrenden einer hohen Beliebtheit.

Ramsauer engagiert sich für zahlreiche – insbesondere bayerische – Straßen- und Autobahnprojekte und sieht die Notwendigkeit für weitere 800 Kilometer neue Autobahnen als „vordringlichen Bedarf“, während weitere 1600 km „so schnell wie möglich“ sechs- bzw. achtspurig ausgebaut werden müssten. Da aber der Verkehrsetat „chronisch unterfinanziert“ sei, setzt er trotz aller Kritik an ‚Public Private Partnerships‘ (PPPs) und dem Beweis, dass diese den Staat langfristig teurer kommen als eine direkte Finanzierung, unbeeindruckt auf die Beteiligung von Privaten bei Verkehrsinfrastrukturprojekten: „Man muss zu anderen Finanzierungsmodellen kommen. Wenn Investitionen mithilfe privaten Kapitals möglich sind – warum nicht?“ Aber eine Transparenz der Verträge bei solchen PPPs verweigert er dennoch standhaft. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es ihm vorwiegend um die Möglichkeit geht, trotz klammer Kassen weiter Straßen bauen zu können. Denn wie seine Amtsvorgänger schneidet Ramsauer gerne publikumswirksam rote Bänder durch – und präsentiert sich damit als Macher. Darüber hinaus identifizierte er „Schlafbaustellen“ als neues Problem der Verkehrspolitik und schuf auch gleich die Lösung dafür: Der „Baustellenmelder“ sollte als Pranger für solche Baustellen dienen, auf denen gerade nicht gebaut wird – auch wenn dort momentan nur der Asphalt aushärtet. Er setzte sich für die Freigabe von Standstreifen für den Verkehr auf Autobahnen ein und für die Wiederherstellung alter Kfz-Kennzeichen – auch diese Themen waren vorher nicht als drängende Probleme der Verkehrspolitik aufgefallen. Und Ramsauer initiierte eine Reform der Verkehrssünderkartei in Flensburg – auch dies ohne dass die angebliche Kompliziertheit des bisherigen Systems vorher ein drängendes Anliegen gewesen wäre.

Überhaupt ist Ramsauers Agenda reichlich autozentriert, womit er in der Tradition der 15 Verkehrsminister vor ihm steht. Beim Thema Bahn hält er sich hingegen vornehm zurück und lässt DB-Chef Grube freie Hand – auf Anfragen an die Regierung lässt er lediglich mitteilen, die Bahn sei ein unabhängiges Unternehmen und die Regierung könne keinen Einfluss nehmen. Auch beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 weist er jede Verantwortung von sich und schiebt die „Eigenwirtschaftlichkeit“ der DB AG vor – obwohl offensichtlich ist, dass das hoch umstrittene Projekt von der Regierung höchst selbst gewünscht ist. Als im Zusammenhang mit den Kostensteigerungen im Januar 2013 ein Dossier aus seinem eigenen Ministerium auftauchte, das auf immer weiter zu erwartenden Kostenexplosionen und zusätzliche Probleme des Projekts hinwies, will er davon nichts gewusst haben und sieht darin „Einzelmeinungen von der untersten Ebene“ seines Ministeriums – woraufhin der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter, nur süffisant bemerkte: „Herr Ramsauer arbeitet sich nur ungern in fachliche Einzelheiten ein, deswegen kennt er die Argumente seines zuständigen Fachreferats offenbar auch nicht.“

Immerhin erteilt Ramsauer einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG zumindest vorläufig eine Absage: „Der Staat sollte sie nicht komplett verkaufen. Ihr Unternehmensziel darf nicht immer die Gewinnmaximierung sein. Ihre Produkte sind Kundenorientierung, Schnelligkeit, Pünktlichkeit, Sicherheit, Sauberkeit und Zuverlässigkeit. Und sie soll dazu beitragen, das Land gleichmäßig zu entwickeln.“ Würde das Mitglied der pflichtschlagenden Burschenschaft Franco-Bavaria – zu der im Übrigen auch der Stuttgart-21-Ideengeber Gerhard Heimerl gehört – diese hehren Worte in Politik umsetzen, wäre für die Bahn schon viel gewonnen. Stattdessen hat Ramsauer die Liberalisierung des Fernbusverkehrs vorangetrieben, ohne zuvor eine Wettbewerbsgleichheit zwischen den Verkehrsträgern Bahn und Bus herzustellen: Während die Bahn ihre Wegekosten selbst tragen muss, zahlen Fernbusse bislang nicht einmal die Autobahnmaut – und können daher mit entsprechend niedrigen Preisen gegen die Bahn punkten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die 2012 in Kraft getretene Regelung zu einer Billigkonkurrenz für die Bahn führt und damit langfristig zu einer weiteren Ausdünnung des Bahnverkehrs führen dürfte.

Und Ramsauers Engagement für den Fuß- und Fahrradverkehr? Im Juni 2012 hat der stellvertretende CSU-Vorsitzende ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten ganz heimlich, still und leise den „Nationalen Radverkehrsplan 2020“ veröffentlicht – ein hoffnungsvolles Zeichen. Dieser Plan bleibt jedoch völlig unverbindlich und verrät nicht, woher das Geld für eine konsequente Förderung des Fahrradverkehrs kommen soll. So kann sich Ramsauer den umweltfreundlichen Radverkehr auf die Fahnen schreiben, ohne wirklich etwas dafür zu tun. Von den insgesamt 10,5 Milliarden Euro, die 2012 in den Bau und die Instandsetzung von Verkehrswegen investiert wurden, gingen derweil gerade einmal 75 Millionen in den Radverkehr, und von den 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums befassen sich nur sechs mit dem Fahrradverkehr. Dem Fahrrad misst der Minister damit nicht einmal 0,4 Prozent der Bedeutung seines Ministeriums zu – und für den Fußverkehr dürfte es eher noch schlechter aussehen. Stattdessen hat Ramsauer – wohl nach einzelnen Beobachtungen durch die getönte Scheibe seines mit 380 PS motorisierten BMW 750Ld xDrive – eine Diskussion über angebliche „Kampfradler“ losgetreten, während er zu den „Kampfautofahrern“ vornehm schweigt.

Bei den Problemen, die sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode in Ramsauers Ressort ergaben, versteht es der Minister hingegen hervorragend, anderen die Verantwortung zu überlassen. Dieses Kunststück vermochte er nicht nur bei Stuttgart 21, wo Bahnchef Grube und dessen Technikchef Volker Kefer alleine die Buhmänner sind, sondern ebenso bei der Berliner Flughafenruine BER. Es ist in der Öffentlichkeit kaum ein Thema, dass der Bund ebenso wie die Länder Berlin und Brandenburg an dem Projekt beteiligt ist, Ramsauers Staatssekretär Rainer Bomba als Mitglied des Aufsichtsrats über jeden Schritt informiert war und es daher auch seine Verpflichtung gewesen wäre, den Fehlplanungen und ausufernden Kosten rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Zur Vermeidung von Problemen mit protestierenden Bürgern hat Ramsauer dafür immerhin ein Konzept herausgegeben: Das „Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung“ kann als Anleitung dafür dienen, wie man Bürgern das Gefühl gibt, beteiligt zu werden, während es nicht tatsächlich darum geht, ihre Meinung in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Die „Faktenschlichtung“ in Stuttgart hat eindrucksvoll bewiesen, wie ein solcher Prozess funktioniert.

Immerhin hat „Zar Peter“, wie Ramsauer von seinem Parteifeind Horst Seehofer getauft wurde, ganz zum Ende seiner Amtszeit doch noch eine generelle Strategie für die zukünftige Mobilität vorgestellt: Die „Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie“. Dahinter verbirgt sich bei näherem Hinsehen trotz des vielversprechenden Titels jedoch leider eben keine Mobilitäts-, sondern eine reine Kraftstoffstrategie, und was man darin liest, ist altbekannt: Mit Agrokraftstoffen und Elektroautos soll der Verkehr sauber werden, während Gedanken an ein Hinterfragen des Verkehrsverhaltens gemieden werden. Das grundsätzliche Credo, dass Verkehr immer weiter wachsen müsse, um unseren Wohlstand zu sichern, wird nicht in Frage gestellt. Das brachte der parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann in der Regierungsbefragung zu der Strategie zum Ausdruck: „Verkehrsvermeidung ist für ein Verkehrsministerium eine einzigartige Provokation. Wir sind dafür da, den Verkehr zu organisieren. Wir wollen Verkehr – in jeder Form.“

Allen, die sich eine progressive Verkehrspolitik wünschen, müssen die vier Jahre Ramsauer als verlorene Zeit erscheinen. Und es sind sogar Rückschritte zu befürchten: Um im Wahlkampf zu punkten, stellte Ramsauer kürzlich beispielsweise die Luftverkehrssteuer wieder in Frage, die den Flugverkehr zumindest ein kleines bisschen an den Kosten beteiligt, die er als umweltschädlichste Verkehrsart tatsächlich erzeugt. Eine schlechte Nachricht für das Klima – aber eine gute für die Luftverkehrsindustrie. Und in gleicher Weise hat sich Ramsauer auch in Brüssel gegen schärfere CO2-Grenzwerte für Autos eingesetzt. Entsprechend zufrieden ist auch Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, mit Ramsauers Arbeit und lobt die Unterstützung durch die Bundesregierung. Ramsauer rechtfertigt seinen Einsatz so: „Ich könnte es als deutscher Verkehrsminister niemals hinnehmen, wenn die deutsche Autoindustrie auf das Segment von Kleinwagenherstellern reduziert werden sollte.“ Sein Auftrag: „Ich bin Anwalt der deutschen Wirtschaft und unterstütze deutsche wirtschafts- und industriepolitische Interessen.“ So steht auch der 16. Verkehrsminister – die weibliche Form fehlt hier übrigens nicht, denn die erste Bundesverkehrsministerin lässt noch immer auf sich warten – weiter in der Tradition, vorwiegend als Auto- und Flugverkehrsminister zu wirken. Mit dem riesigen Budget, das seinem Ministerium zur Verfügung steht, hätte Ramsauer große Gestaltungsmöglichkeiten, um auf eine nachhaltige Verkehrspolitik hinzuwirken – aber nichts liegt im ferner. Stattdessen spielt der Hobbypianist lieber Mozart für die CD „Adagio im Auto“ ein, von der je ein Euro an die Aktion ‚Kinder-Unfallhilfe e.V.‘ geht. Mit einer Politik, die das Auto nicht weiter als das Maß aller Dinge behandelt, könnte er Unfälle verhindern, statt die Folgen zu lindern.

 

Dieser Artikel erschien gedruckt auch in Mobilogisch! 3/2013

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