»Alle reden vom Klima – Wir nicht.« Mit einer solchen Losung müsste in diesen Zeiten der drohenden Klimakatastrophe eigentlich für die Schiene geworben werden. Doch so wie der wunderbare Bundesbahn-Werbespruch aus den 1960er Jahren »Alle reden vom Wetter – Wir nicht« als PR der heutigen Bahn als Lachnummer aufgefasst werden würde, so wirkt auch ein abgewandelter KlimaretterBahn-Slogan unglaubwürdig. Ein wachsender Teil der Bevölkerung empfindet in Bezug auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn, Komfort und Service im Schienenverkehr, das Ansehen der Deutsche Bahn AG und den Zustand der Infrastruktur wohl die Charakterisierung »abgefahren« als weitaus zutreffender.
Obwohl wir die Eisenbahn als klima- und umweltfreundlichstes Verkehrsmittel dringender denn je brauchen, erleben wir seit Jahrzehnten ihren Niedergang. Aus unserer Sicht spricht viel dafür, dass die Bahn in Deutschland sich weiter in ihrer existenziellen Krise festfährt. Dabei wird der Schienenverkehr in Deutschland heute von vier Seiten bedroht.
Erstens gibt es einen Verkehrsmarkt, in dem seit vielen Jahrzehnten systematisch der Straßenverkehr und die Luftfahrt bevorzugt und die Schiene benachteiligt werden. Um dies nur für die Verkehrswege zu verdeutlichen: Allein seit der Vereinigung von BRD und DDR wurde das Schienennetz um 7000 Kilometer abgebaut, während im gleichen Zeitraum zehntausende Kilometer neue Straßen, darunter allein 2300 Kilometer neue Autobahnen, gebaut wurden. Der Kahlschlag im Bereich Schiene betrifft vor allem Qualität und Effizienz der Infrastruktur. Im Zeitraum 1994 bis 2018 wurde die Zahl der Weichen und Kreuzungen im Schienennetz mehr als halbiert.
Zweitens befindet sich der Bahnkonzern in einer akuten Finanz- und Strukturkrise. Für das Jahr 2019 weist die Deutsche Bahn AG in ihrer Bilanz Schulden in Höhe von 25 Milliarden Euro aus. Damit ist der Schuldenberg erstmals höher als derjenige, den die Deutsche Bundesbahn im Zeitraum 1949 bis 1992 mit 47,8 Milliarden DM angehäuft hatte. Wohlgemerkt: Die Deutsche Bahn AG startete im Januar 1994 schuldenfrei. Diese Krise ist das logische Ergebnis der Privatisierung der Eisenbahn im Jahr 1994, was euphemistisch als »Bahnreform« bezeichnet wurde, der fatalen Orientierung auf den Börsengang (2000 bis 2008) und – seit mehr als zwei Jahrzehnten – des verantwortungslosen Kahlschlags bei Infrastruktur und Belegschaft.
Drittens stellt die 2012 beschlossene grundsätzliche Zulassung des flächendeckenden Fernbusverkehrs einen weiteren Mosaikstein der »verkehrten Verkehrsmarktordnung« dar. Ähnlich wie im Fall der Konkurrenz zwischen Uber und dem traditionellen Taxigewerbe gibt es inzwischen einen höchst ungleichen Konkurrenzkampf zwischen Schienenfernverkehr und Busfernverkehr. Das damit verbundene Preisdumping hat dazu geführt, dass der Fernverkehr auf Schienen nicht mehr kostendeckend betrieben wird.
Viertens haben wir es im Bundesverkehrsministerium im Allgemeinen und bei der Deutschen Bahn AG im Besonderen mit Institutionen zu tun, deren Spitzenpersonal – zurückhaltend formuliert – keinerlei Leidenschaft für den Schienenverkehr aufbringt. Ja, ein großer Teil insbesondere des Führungspersonals der Deutschen Bahn ist strukturell mit dem konkurrierenden Straßenverkehr bzw. der Luftfahrt verbunden. Diese Personen sind mitverantwortlich für die zerstörerischen Prozesse im Bereich Schiene. Auf sie trifft in politischer – und oft auch in juristischer – Hinsicht der Vorwurf der Untreue zu.
Damit nicht auch in Bälde gilt, der sprichwörtlich letzte Zug sei »abgefahren«, schrieben wir als zwei leidenschaftliche Bahnfahrer, die sich seit eineinhalb Jahrzehnten gemeinsam mit der Thematik befassen und für eine »Bahn für Alle« werben, dieses Buch. Es geht nicht in erster Linie um ein paar Dutzend Milliarden Euro mehr, nicht um ein paar Prozentpunkte Mehrwertsteuer im Schienenfernverkehr weniger und nicht um das eine oder andere Bauernopfer im Bahnvorstand. Vielmehr brauchen wir eine grundsätzlich neue Bahnpolitik. Wir skizzieren in dieser Schrift die Grundzüge einer solchen »Bahnwende in der Verkehrswende«. Diese haben wir in insgesamt 16 Kapitel eingeteilt, die sich jeweils mit einem Aspekt der Bahnkrise befassen. Am Ende eines jeden Kapitels präsentieren wir konkrete Lösungsvorschläge für eine bessere Bahn.
Dazu lassen wir nach jedem Kapitel Personen bzw. Initiativen aus dem Bahnsektor zu Wort kommen, die ihre eigenen Erfahrungen dokumentieren und Bausteine für eine »Bahn der Zukunft« vortragen. Ohne einen Neuanfang kann die selbstzerstörerische Fahrt aufs verkehrspolitische Abstellgleis nicht gestoppt und damit der erforderliche Beitrag der Schiene für eine nachhaltige Klimapolitik nicht geleistet werden.
Das Buch ist soeben im Papyrossa-Verlag (Köln) erschienen und für 17,90 € überall im Buchhandel erhältlich. Weitere Informationen mitsamt einer Leseprobe sind hier auf der Website des Verlages zu finden: https://shop.papyrossa.de/Knierim-Bernhard/Wolf-Winfried-Abgefahren. Auch Lesungen oder Diskussionsveranstaltungen zum Buch sind gerne möglich; bitte kontaktieren Sie mich bei Interesse über bernhard.knierim@bahn-fuer-alle.de.