Immer wieder ist viel von Klimaschutz im Verkehr die Rede. Dabei sind der Flugverkehr und der Autoverkehr – zumindest rhetorisch – als Klimakiller im Visier. Und die Alternativen? Hier geht es abgesehen von Effizienzmaßnahmen vor allem um das Elektroauto, das zwar in Hinblick auf das Klima kaum besser abschneidet als herkömmliche Autos, aber milliardenschwere Förderungen erhält (siehe dazu den Artikel: Elektroauto-Kaufprämie: Förderung für die Autoindustrie). Dabei hat die Bahn in Hinblick auf möglichst geringe Klimaauswirkungen die Nase weit vorn. Gegenüber dem Flugzeug ist ihr entscheidender Nachteil auf längeren Strecken jedoch die deutlich längere Reisezeit. Und genau hier liegt die Chance des Nachtzugs: Denn wenn man über Nacht reisen und morgens ausgeschlafen am Zielort ankommen kann, dann wird der vermeintliche Nachteil der längeren Reisezeit sogar zum Vorteil – denn die Bequemlichkeit, morgens entspannt anzukommen und dazu auch noch das Hotel einzusparen, kann das Flugzeug nicht bieten, von den Einschränkungen durch die Sicherheitschecks und damit verbundenen Wartezeiten ganz abgesehen.
Der Vergleich zwischen Bahn, Flugzeug und Auto in Hinblick auf das Klima ist eindeutig: Ein Bahnpassagier verursacht auf die gleiche Strecke bezogen rund viermal weniger Kohlendioxidausstoß als ein Flugreisender. Für die Reise zwischen Berlin und Paris stößt das Flugzeug beispielsweise 118,5 Kilogramm Kohlendioxid pro Passagier aus, während es bei der Bahn lediglich 32,0 Kilogramm pro Passagier sind.[1] Tatsächlich ist die Diskrepanz aber sogar noch deutlich größer: Zum ersten beruht die Zahl für die Bahn auf Berechnungen für hohe Geschwindigkeiten, während die Nachtzüge bei deutlich geringeren Geschwindigkeiten und daher mit weniger Energieverbrauch unterwegs sind. Zum zweiten ist inzwischen gut erforscht, dass die Emissionen des Flugzeugs direkt in der Atmosphäre rund zwei bis dreimal schädlicher für das Klima sind als die Emissionen am Boden. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Flugzeug und Bahn in Hinblick auf die Klimaschädigung also noch sehr viel größer. Und auch beim Ausstoß anderer Schadstoffe, beispielsweise Feinstaub oder Stickoxide, schneidet die Bahn um Längen besser ab als das Flugzeug. Hinzu kommt noch, dass die – elektrische – Bahn schon heute mit 42 Prozent erneuerbaren Energien betrieben wird und auf dem Kurs zu vollständiger Erneuerbarkeit ist[2], während das für den Luftverkehr noch eine ferne und vermutlich gänzlich unerreichbare Vision ist.
Grafik: Die Klimabilanz im Verkehrsmittelvergleich für verschiedene europäische Strecken.
Nachtzüge sind also die mit Abstand klimafreundlichste Reiseoption auf Langstrecken. In Anbetracht der ständigen Beschwörungen des dringend notwendigen Klimaschutzes wäre eigentlich jede Subventionierung des Nachtzugverkehrs zu rechtfertigen. Stattdessen geschieht aber genau das Gegenteil, und zwar gleich auf mehreren Ebenen. Beginnen wir mit der Mehrwertsteuer: Während ein grenzüberschreitender Flug komplett von dieser befreit ist (laut Umweltbundesamt eine Subvention von 3,5 Milliarden Euro jährlich) und auf stationäre Hotelübernachtungen nur der reduzierte Satz von 7 Prozent erhoben wird, ist jede Bahnreise im Fernverkehr – und ebenso jede Nachtzugreise – mit vollen 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt. Ähnlich ist es bei der Energie: Während Kerosin von jeglicher Energiesteuer befreit ist (laut Umweltbundesamt eine Subvention von 6,9 Milliarden Euro jährlich), zahlt die Bahn – trotz des vergleichsweise sauberen Energiemixes – nicht nur die volle Energiesteuer auf den Bahnstrom, sondern zu allem Überfluss auch noch eine Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Insgesamt wird der Luftverkehr dadurch mit mehr als 10 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert.
Wäre die Verteilung der Kosten genau anders herum, also zugunsten der Bahn und zuungunsten des Luftverkehrs, wäre das umwelt- und klimapolitisch durchaus sinnvoll. Aber in dieser Richtung kann man die Schieflage nur als jahrzehntelanges Versagen der Verkehrspolitik verstehen – und mit dem massiven Einfluss der Luftverkehrslobby, die immer wieder verhindert hat, dass die massive Bevorzugung des Flugverkehrs aufgehoben wird. Thomas Sauter-Servaes von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: „19 Prozent sind ein erheblicher Batzen. Das ist kein Thema, was erst gestern aufgekommen ist, sondern das gebetsmühlenartig an die Politik aus der Wissenschaft herangetragen wird. Seit Jahren ist an der Stelle nichts passiert. Der Verkehrswissenschaftler in mir ist da fast schon depressiv. Wenn ich auf der einen Seite einen klimaverträglichen Verkehr anbieten möchte oder das propagiere, auf der anderen Seite aber den Zug als umweltfreundlichste Alternative so benachteilige, muss man sich fragen, ob tatsächlich in der Politik der Wunsch besteht, an dieser Stelle tätig zu werden.“[3]
Zu der Schieflage der Kosten kommt die europäische Politik als weiteres Problem: Die EU setzt ganz auf die Liberalisierung des Bahnverkehrs. Die Idee: Wenn man nur für einen möglichst ungestörten Wettbewerb zwischen den Bahnunternehmen sorge, führe das zu einem guten Angebot. Tatsächlich ist leider das Gegenteil der Fall: Während die nationalen Bahnunternehmen früher für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr kooperierten, betrachten sie sich inzwischen gegenseitig als Konkurrenz. Die Folge davon ist, dass der grenzüberschreitende Bahnverkehr – von einigen gut ausgebauten Leuchtturm-Strecken wie dem Thalys oder der Verbindung Frankfurt/Stuttgart–Paris abgesehen – fast überall abgebaut wird. Das gilt ganz besonders für den Nachtverkehr, aber auch auf vielen Tagesverbindungen, z.B. zwischen Deutschland und Polen.
Von den Rahmenbedingungen her hat es die Bahn also alles andere als einfach, aber zu dem politischen Versagen kommt die fatale Strategie der Deutschen Bahn AG, die – nicht nur beim Nachtzugverkehr – immer wieder nur auf Rückzug setzt statt auf Zukunftskonzepte. Seit vielen Jahren hat sie keine neuen Nachtzüge oder Wagen gekauft, und die in den 1990er angeschafften Talgo-„Hotelzüge“ wurden aus Kostengründen sogar wieder abgestellt, obwohl sie noch viele Jahre komfortables Nachtreisen ermöglicht hätten. Nach außen möchte sich die DB AG zwar gerne als Umweltvorreiter präsentieren, gleichzeitig macht sie den klimafreundlichen Bahnverkehr auf Langstrecken jedoch kaputt. Und sie versäumt es, ihren Eigentümer, den Bund, zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen zu drängen.
Dabei scheint die DB AG zweierlei nicht in Betracht zu ziehen: Zum ersten bedeuten wegfallende Züge immer auch wegfallende Trasseneinnahmen. Jeder Zug, der auf den Schienen fährt, trägt zur Finanzierung des Gesamtnetzes bei. Die Trassengebühren sind jedoch generell zu hoch, weil das dafür verantwortliche Tochterunternehmen DB Netz AG Gewinne erwirtschaften soll – ein Problem, mit dem auch der Regional- und Güterverkehr zu kämpfen hat. Eine deutliche Reduktion der Trassengebühren, wie sie in anderen europäischen Ländern existiert, würde die Wirtschaftlichkeit der Nachtzüge in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.[4] Dieses Problem der Trassengebühren zeigt auch den Unsinn der – von der EU betriebenen – Auftrennung der Transport- und Infrastruktursparten: Die Trassengebühren sind innerhalb der DB AG als Gesamtkonzern ja letztlich ein Nullsummenspiel. Die Einnahmen werden aber bei DB Netz verbucht und die Ausgaben bei den Nachtzügen, die dadurch wirtschaftlich schlecht aussehen. Immerhin machen die Trassengebühren rund ein Drittel der Kosten eines Personenzuges aus.
Der zweite Punkt, den die DB AG nicht berücksichtig, ist die Einbindung der Nachtzugstrecken in das Gesamtnetz. Wer mit dem Nachtzug reist, fährt meist auch noch mit anderen Zubringer-Zügen, und häufig ist eine Reise im Nachtzug mit einer Reise tagsüber in Gegenrichtung verbunden. Fällt der Nachtzug weg, kehren die Menschen der Bahn oft ganz den Rücken. Umfragen der DB-ERS und von Umverkehr! in der Schweiz haben diesen Effekt klar gezeigt: Fährt kein Nachtzug, nimmt der Großteil der Fahrgäste stattdessen das Flugzeug, statt ausschließlich auf Tageszüge auszuweichen. Auf den weiten Strecken sind die Reisezeiten tagsüber viel zu lang und damit unattraktiv. Und auch der Preis für eine zusätzliche Hotelübernachtung am Zielort – in teuren Städten wie Paris durchaus ein großer Faktor – führt eher zur Wahl eines frühen oder späten Flugs. Hinzu kommt auch noch ein psychologischer Faktor, da der Flugverkehr nach wie vor mit dem Schlagwort „Billigflieger“ verbunden ist, obwohl die Kosten mit allen Gebühren am Ende oft wesentlich höher sind als in der Werbung versprochen. Und auch die angebliche Zeit„ersparnis“ beim Fliegen ist nicht so groß, wie die reine Flugzeit suggeriert: Der Weg zum und vom Flughafen, das Einchecken, die Sicherheitskontrollen und das Abholen des Gepäcks verlängert die tatsächliche Reisezeit erheblich.
Aber wäre eine Verlagerung eines großen Anteils des Luftverkehrs auf die Bahn tatsächlich möglich? Mehrere Umweltverbände haben ein Konzept erarbeitet, wie eine solche Zukunft aussehen könnte, mit der auch der Verkehrsbereich seinen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen so vermindern könnte, dass der Klimawandel im Rahmen gehalten werden kann. Das Konzept umfasst eine massive Verlagerung von Verkehr auf die Bahn: Der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs soll sich in dem Szenario verdoppeln. Um das schaffen zu können, müsste das Bahnnetz an vielen Stellen ausgebaut werden, aber auch das Angebot müsste stark ausgeweitet statt immer weiter reduziert werden.[5]
Was wäre notwendig, um ein solches Szenario tatsächlich Realität werden zu lassen? Zuerst einmal müsste die steuerliche Benachteiligung der Bahn aufgehoben und am besten sogar umgekehrt werden. Schließlich ist eine steuerliche Besserstellung des klimafreundlicheren Transportmittels durchaus sinnvoll. Ist das kurzfristig nicht umsetzbar, so ist der Bund in der Pflicht, die Bahn notfalls auch mit Geld aus dem Haushalt zu unterstützen. Auch in anderen europäischen Ländern wie in Norwegen, Schweden oder Großbritannien werden Nachtzüge staatlich mitfinanziert. Dieses Modell ist also offensichtlich auch EU-kompatibel. Und auf europäischer Ebene sollte die Kooperation der Bahnen statt der Konkurrenz gefördert werden, um die grenzüberschreitenden Züge gemeinsam gut zu betreiben. Ein europäischer Zusammenschluss der Bahnen – etwa die „United Railways of Europe“ – könnte eine Plattform sein, um ein neues und deutlich erweitertes europäisches Nachtzugnetz, wie es in diesem Heft entworfen wird, auf die Beine zu stellen. So utopisch, wie das auf den ersten Blick klingt, ist diese Idee nicht: Im 20. Jahrhundert gab es bereits eine viel engere Zusammenarbeit der Bahnen, unter anderem mit einem gemeinsamen Schlafwagenpool. Es gab zwischen allen wichtigen europäischen Städten Verbindungen bei Nacht und am Tag. Der Verlust dieses Netzes passt nicht zu der Idee des zusammenwachsenden Europas. Aber mit anderen politischen Rahmenbedingungen wäre eine Renaissance der Nachtzüge – und damit des klimafreundlichen Reisens auch auf langen Strecken – möglich.
Dieser Beitrag erscheint gedruckt im Heft Lunapark21 Extra Nr. 12, das sich ganz mit der Geschichte und Zukunft der Nachtzüge befasst und das Konzept „LunaLiner“ für einen zukünftigen europäischen Nachtzugverkehr präsentiert. Das Heft mit vielen weiteren interessanten Beiträgen kann hier direkt im Webshop der Grünen Liga bestellt werden: http://www.grueneliga.de/verkehr-110.html
[1] Alle Daten laut TREMOD-Modell des IFEU-Instituts (Stand März 2011), das auch dem „UmweltMobilCheck“ auf www.bahn.de zugrundeliegt. Beim Flugzeug ist auch der Zubringerverkehr zum Flughafen, der ja in der Regel außerhalb der Stadt liegt, mit eingerechnet, was aber nur 1-2 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes ausmacht.
[2] Der DB-Werbung zufolge ist die BahnCard-Kundschaft sogar heute schon mit 100% Ökostrom unterwegs, aber das ist natürlich nur eine Rechenübung – insgesamt zählt letztlich der Bahn-Strommix, der aber mit 42% erneuerbaren Energien schon jetzt deutlich besser ist als der allgemeine Strommix. Für Nachtzüge kann die Betrachtung von Diesel entfallen, da sie ausschließlich elektrisch betrieben werden.
[3] Protokoll des Bundestags-Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur 18/26.
[4] Sinnvoll wäre es, wenn jeder Zug nur die sogenannten Grenzkosten entrichten müsste, die tatsächlich mit diesem Zug entstehen – was auch mit EU-Recht vereinbar ist.
[5] Johannes Erhard, Werner Reh, Manfred Treber, Dietmar Oeliger & Michael Müller-Görnert: Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland – Weichenstellungen bis 2050. Berlin: WWF/BUND/Germanwatch/NABU/VCD 2014.
2 Gedanken zu „Nachtzüge als Klimaschützer?“