Das Potenzial von Nachtzügen zum Klimaschutz wird noch unterschätzt

Ende des Jahres wurde die Nachtzug-Studie von Ramboll im Auftrag des Verkehrsministeriums (BMDV) veröffentlicht – und hat damit einige Aufmerksamkeit auf die ökologischen Reise-Möglichkeiten in Europa gelenkt. Den Schlussfolgerungen der Autoren stimme ich dabei völlig zu: Nachtzüge sind eine umweltfreundliche Alternative zum Flugverkehr und können einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Für das Entstehen vieler neuen Linien braucht es aber bessere wirtschaftliche und technische Rahmenbedingungen – hier ist die Politik gefragt.

Die Studie bewertet das Wachstumspotenzial eines zukünftig möglichen Nachtzugverkehrs von und nach Deutschland und die damit mögliche positive Klimawirkung durch die Verlagerung von Flug- und Autoverkehr. Dabei ist sie auch ein guter Fundus für viele Daten und Fakten rund um den Nachtzugverkehr und eine Sammlung sinnvoller politischer Maßnahmen zur Unterstützung des Nachtzugverkehrs, die sich überwiegend mit den Forderungen des europäischen Pro-Nachtzug-Netzwerks Back on Track decken.

Dennoch greift die Studie meiner Ansicht nach an mehreren Stellen zu kurz und unterschätzt das Potenzial der Nachtzüge noch:

  • Die Studie untersucht nur Verbindungen von/nach Deutschland. Das ist nicht den Autor:innen vorzuwerfen, da dies der Auftrag der Studie war – aber sie bildet dadurch natürlich nur einen Teil des europäischen Nachtzugnetzes ab, das in Europa (wieder) entwickelt werden könnte – darunter übrigens auch Linien, die durch Deutschland hindurchführen, aber vorwiegend unsere Nachbarländer miteinander verbinden.
  • Es ist für die Lesenden nicht nachvollziehbar, welches die die 79 „grundsätzlich denkbare[n] und routentechnisch realistische[n] neue[n] Nachtzugverbindungen ausgehend von Deutschland bzw. über Deutschland“ sind, für die lediglich die Auswahlkriterien angegeben werden. Zur Bewertung der Ergebnisse wäre es hilfreich, die Linien selbst und mögliche Ergänzungen bewerten zu können.
  • Zugrunde gelegt wird dabei eine Obergrenze von 1.500 Kilometern maximale Entfernung für Nachtzuglinien. In Kombination mit Hochgeschwindigkeit, was ja durchaus auch in der Studie diskutiert wird, wären aber auch noch längere Strecken denkbar – insbesondere wenn man noch weitere Orte im Vor-/Nachlauf anbindet, die nicht notwendigerweise alle zur idealen Abfahrts-/Ankunftszeit erreicht werden müssen.
  • Spannend wäre es auch, nachvollziehen zu können, ob und wie die Anbindung weiterer Regionen im Vor- und Nachlauf der Nachtzüge bewertet wurde – denn durch den Netzwerkeffekt und mögliche Umstiege auf die Nachtzüge gibt es sicherlich noch erhebliches Potenzial weiterer Fahrgäste. Bei der Bewertung des Umstiegspotenzials vom Autoverkehr wurden zwar „Einzugsräume“ definiert, die aber vorwiegend den Nahverkehr als potenziellen Zubringer betrachten.
  • Auch die Annahme, dass maximal 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung bereit wären, vom Flugzeug auf den Nachtzug zu wechseln, scheint mir eher konservativ. Es gibt Umfragen, die ein deutlich größeres Wechsel-Potenzial zeigen – wenn die Verbindungen attraktiv und erschwinglich sind (z.B. die Studie im Auftrag von Germanwatch aus dem Jahr 2021).
  • Von den ausgewählten 79 Linien werden aufgrund dieser Annahmen letztlich nur 13 bis 42 Verbindungen als wirtschaftlich tragfähig bewertet. Damit führen diese Annahmen letztlich dazu, dass das in der Studie geschätzte Klimaschutz-Potenzial der Nachtzüge – zwischen 0,21 und 2,26 Mio. t CO2e-Einsparungen – noch zu niedrig eingeschätzt wird. Diese Abschätzung ist auch wesentlich geringer als das Ergebnis der Studie von Juri Maier für Back on Track – auch wenn man berücksichtigt, dass diese Studie ganz Europa betrachtet und nicht nur Verbindungen von/nach Deutschland.
  • Erstaunt hat mich, dass die Autor:innen die Preise für Nachtzüge schon heute als wettbewerbsfähig gegenüber denen des Flugverkehrs einschätzen. Da ist mein Stand bisher ein anderer – aber ich würde mich freuen, wenn die Studie hier richtig liegt und die Preisentwicklung tatsächlich den Nachtzug zunehmend attraktiver macht.
  • Ebenfalls erstaunlich finde ich die Schlussfolgerung, dass eine Befreiung der internationalen Bahntickets von der Mehrwertsteuer und eine Senkung der Trassenpreise nicht viel bewirken würden. 0% statt 7% Mehrwertsteuer (im grenzüberschreitenden Flugverkehr ja schon lange Realität) könnten die Tickets merklich günstiger machen, wenn man die Unternehmen zur Weitergabe dieses Preisvorteils verpflichtet. Auch Trassenpreise auf Grenzkosten-Niveau wären gegenüber den heute für Nachtzüge schon vergünstigten Trassenpreisen nochmal eine deutliche Kostensenkung.

Sehr erfreulich ist im übrigen das Ergebnis der Studie, dass die Verfügbarkeit von Fahrplantrassen während der Nacht auch bei einem wachsenden Nachtzugverkehr kein größeres Problem werden dürfte.

Die Studie liefert viele interessante Daten und Fakten rund um die Nachtzüge – aber das Potenzial der Nachtzüge insgesamt wird meiner Ansicht dabei nach noch unterschätzt. Ich fände es spannend, wenn das Ministerium und die Autor:innen mit den Organisationen wie Back on Track, die sich ebenfalls intensiv mit dem Thema befassen, in die Diskussion gehen würden – um gemeinsam herauszufinden, wo das Potenzial der Nachtzüge  noch größer sein könnte als in der Studie angegeben und welche politischen Schritte es braucht, um dieses auch zu heben.

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