Morgen wird mit der neuen ÖBB-NightJet-Linie die Nachtzugverbindung zwischen Berlin und Paris wiederbelebt, die es neun Jahre lang nicht gab – ein Grund zum Feiern für Back on Track und viele andere Nachtzugfans, denn die Verbindung zwischen den beiden Hauptstädten ist eine der wichtigsten in Europa, die bisher bitter gefehlt hat. Zudem ermöglicht sie in beiden Richtungen viele Anschlussreisen nach Frankreich auf der einen Seite und nach Osteuropa auf der anderen, womit viele weitere Reisen mit der Bahn erst möglich werden. Im Dezember 2014 hatte die DB den damaligen „City NightLine Perseus“ eingestellt (hier ein sehr schönes Hörfunkfeature des Deutschlandfunks von einer der letzten Reisen), obwohl es an Nachfrage auch damals nicht mangelte. Daran scheint auch der neue Nachtzug direkt anzuknüpfen, denn laut ÖBB sind die Fahrten im Dezember schon jetzt fast komplett ausgebucht. Vorerst fährt der Zug nur dreimal pro Woche, aber noch 2024 soll er wieder jede Nacht fahren – sobald die ÖBB genügend Wagen dafür haben.
Ebenfalls morgen gibt es auf der Strecke Hamburg – Wien/Innsbruck gleich noch eine Premiere: Dort fahren die ersten neuen NightJet-Züge, die die ÖBB im November präsentiert hat. Diese Züge sind ein gigantischer Schritt voran in Bezug auf den Komfort, wenn man sie mit den alten Nachtzügen vergleicht, die momentan vielfach in Europa unterwegs sind und deren Schlaf- und Liegewagen meist aus den 1960ern bis 1990ern stammen. Auch andere Unternehmen wie die finnische Bahn VR, die italienische Trenitalia oder das französische Startup Midnight Trains haben bereits neue Züge geordert, die sie in den nächsten Jahren erhalten sollen. Dass es dazu gekommen ist, ist eine höchst bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, wie die Nachtzüge noch vor einigen Jahren von vielen als hoffnungslos antiquiert betrachtet wurden. Von einer „Nachtzug-Renaissance“, die einige schon ausrufen, würde ich zwar noch nicht sprechen, denn dazu bräuchte es noch wesentlich mehr neue Verbindungen mit mehr Kapazitäten. Aber die Zeiten des beständigen Niedergangs sind definitiv seit einigen Jahren vorbei; stattdessen wächst das Netz wieder merklich. Mehrere Unternehmen arbeiten gerade daran, neue Züge aufs Gleis zu bringen oder haben dies sogar schon getan. Für noch mehr neue Züge fehlt es momentan nicht an der Nachfrage oder an Ideen, sondern vor allem an brauchbaren Wagen, da alle einsatzfähigen schon irgendwo unterwegs sind. Auch mit Blick darauf sind die neuen NightJets ein Schritt nach vorne, denn die alten Wagen sollen nicht verschrottet werden, sondern erneuert werden und dann neue Linien bedienen – so wie aktuell auf der neuen Verbindung Berlin – Paris (und Berlin – Brüssel).
Als 2014 der damalige Paris-Nachtzug eingestellt wurde und über den kompletten Ausstieg der Deutschen Bahn AG aus dem eigenen Nachtzuggeschäft debattiert wurde, war die Situation noch eine ganz andere: Der Linksfraktion, die einen Antrag zum Erhalt der Züge eingebracht hatte [1], wurde der Vorwurf gemacht, sich damit als hoffnungslos gestrige „Schlafwagengesellschaft“ zu outen. Das war schon damals nicht lustig, aber zudem offensichtlich falsch – ebenso wie die Einschätzung, Nachtzüge seien etwas „für ein paar Nostalgiker“ und „ein defizitäres Angebot“ (so die Behauptung von Michael Donth (CDU) in der Bundestags-Plenardebatte vom 25.9.2014 [2]). Die ÖBB und andere Nachtzug-Betreiber beweisen nun seit Jahren, dass genau dies nicht stimmt. Recht behalten haben die Aktivist:innen für den Erhalt und Ausbau der Nachtzüge, die schon damals auf das erstarkende Klimabewusstsein und die Vorteile des Nachtzugverkehrs für bequemes Reisen hinwiesen.
Die Frage ist nur: Wie kann daraus eine echte Renaissance und wieder ein brauchbares Netz an Nachtzügen in ganz Europa werden? Wie können wir es schaffen, dass Nachtzüge zu einer wirklichen Alternative auf möglichst allen innereuropäischen Strecken werden können? Hier ein paar konkrete Vorschläge:
- Senkung der Trassenpreise für die Benutzung des Bahnnetzes. Deutschland hat dafür im europäischen Vergleich mit die höchsten Preise – die aber politisch gesenkt werden könnten. Damit würden mehr Verbindungen wirtschaftlich – und könnten innerhalb weniger Jahre Realität werden.
- Eine Streichung der Mehrwertsteuer auf internationale Bahntickets (wie z.B. Österreich dies zum 1.1.2023 bereits eingeführt hat). Im Gegenzug sollte die Subventionierung des im Vergleich zum Zug 28-Mal klimaschädlicheren Flugverkehrs endlich beendet werden: Einführung einer Mehrwertsteuer auf alle Flugtickets (bisher sind grenzüberschreitende Tickets komplett befreit!) und Einführung einer Kerosinsteuer auf EU-Ebene.
- Staatliche oder EU-Unterstützung für Nachtzuglinien, die sich nicht von selbst tragen – mindestens für die ersten Betriebsjahre – über entsprechende „Public Service Obligations“ (PSOs). Andere EU-Länder (z.B. Österreich, Schweden, Niederlande) tun das schon, aber in Deutschland gilt jeglicher Fernverkehr bisher als rein „eigenwirtschaftlich“, weshalb es keine solchen PSOs gibt. Noch besser wäre ein echtes europäisches Netz von Nachtzügen, die – wo nötig – seitens der EU finanziell unterstützt werden. Das ist allerdings auf EU-Ebene leider momentan fernab der politischen Diskussion.
- Auch das europäische Bahnnetz muss endlich besser für den internationalen Verkehr ausgebaut werden statt nur als nationale Netze – mit genügend Kapazitäten für mehr Nachtzüge, mehr langlaufende Tagzüge und nicht zuletzt auch mehr Schienengüterverkehr, der ebenso von der Straße auf die Schiene verlagert werden muss. Die Finanzierung dafür könnte aus genau dem Geld kommen, das mit der Beendigung der umweltschädlichen Subventionen (z.B. Mehrwertsteuer und Kerosinsteuer für den Flugverkehr, aber auch Diesel- und Dienstwagenprivileg) eingenommen werden kann.
- Die Buchbarkeit von durchgehenden Tickets mit entsprechenden Fahrgastrechten (im Falle von Verspätungen oder Zugausfällen) auch auf internationalen Strecken – statt der Notwendigkeit, mehrere Tickets bei unterschiedlichen Bahngesellschaften zu kaufen. Dazu bräuchte es entweder eine europäische Agentur (warum nicht InterRail/EURail, wo die Bahngesellschaften schon heute zusammenarbeiten, entsprechend weiterentwickeln?) oder mindestens die Verpflichtung aller Bahngesellschaften, ihre Tickets zum Bestpreis auch durch andere verkaufen zu lassen, so dass durchgehende Tickets aus einer Hand möglich werden.
Wenn einiges oder am besten alles davon umgesetzt würde, wäre die Situation auf dem Nachtzugmarkt und im Wettbewerb mit dem Flugverkehr, der im Sinne des Klimas unbedingt drastisch reduziert werden muss, eine ganz andere als heute. Eine echte Nachtzug-Renaissance mit nicht nur einzelnen, sondern immer mehr neuen Verbindungen und wachsenden Kapazitäten auf den bestehenden, wäre dann endlich wirklich realistisch.
Quellen:
[1] Der damalige Antrag von Sabine Leidig, MdB und der Linksfraktion zum Erhalt der Nachtzüge (Bundestags-Drucksache 18/2494): https://dip.bundestag.de/vorgang/r%C3%BCckzug-der-deutschen-bahn-ag-bei-nacht-und-autoreisez%C3%BCgen-stoppen/62196
[2] Das Protokoll der Bundestagssitzung vom 25. September 2014, wo die Debatte ab Seite 5020 dokumentiert ist (und die fragwürdigen Aussagen von Michael Donth auf Seite 5024): https://dserver.bundestag.de/btp/18/18054.pdf#P.5024